Nahost

Erdbebenopfer rühren Bundesregierung nicht – Sanktionen gegen Syrien bleiben

Sanktionen sind Mittel der Durchsetzung imperialistischer Interessen des Westens. Einen anderen Sinn oder irgendwas mit Recht zu tun haben sie nicht. Nun baten nahezu alle christlichen Konfessionen angesichts des verheerenden Erdbebens um Aufhebung der Syrien-Sanktionen. Position der Bundesregierung? Dreimal darf der Leser raten.

Von Anton Gentzen

Weiß jemand noch, warum es Sanktionen gegen Syrien gibt? Syrien hat niemanden überfallen, keinem Nachbarstaat gedroht und unterstützt keinen internationalen Terrorismus. Genau umgekehrt verhält es sich: Es ist das syrische Staatsgebiet, das in mehreren Wellen durch Nachbarn und weiter entfernte Staaten angegriffen wurde und bis heute teilweise – wie die israelisch besetzten Golanhöhen – seit Jahrzehnten okkupiert wird. 

Es waren rein innere Angelegenheiten, eine stark islamistisch geprägte Protestbewegung gegen die säkulare Regierung in Damaskus, in die sich der Westen unter Führung der USA und der EU durch offene und verborgene Unterstützung der regierungsfeindlichen Kräfte einmischte. Der sogenannte "Arabische Frühling" – US-inspirierte Farb-"Revolutionen", in die sich die syrischen Unruhen nach dem Willen der Strategen in Washington einreihen sollten – ist inzwischen überall gescheitert: In Ägypten stürzte die Armee das islamistische Regime, das einige Jahre an der Macht war, in Tunesien erfolgte die Rückkehr zur Vernunft auf demokratischem Wege. In Syrien jedoch gelang es dem Westen, durch seine Einmischung das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen, der nun schon mehr als ein Jahrzehnt dauert. Dabei setzte und setzt der Westen auf sehr unappetitliche Kräfte: Halsabschneider, islamistische Terroristen, Christenmörder und ähnliches Pack. Unterstützer und Finanziers des internationalen Terrorismus? Sind in diesem Fall eindeutig Berlin, Paris, London und Washington. 

Schlimmer noch: Unter dem Vorwand, den "Islamischen Staat", wahrscheinlich eine eigene Züchtung, zu bekämpfen, griff eine von Washington angeführte Koalition direkt in den Bürgerkrieg ein und besetzte syrisches Territorium. "Zufällig" die ölreichen Teile im Osten des Landes, aus denen die USA nun seit Jahren ungeniert und kaum verdeckt das "schwarze Gold" ausführen und sich aneignen. Nur dank des Eingreifens Russlands richteten sich die Aktionen des westlichen Militärs bislang nicht unmittelbar gegen die syrische Regierungsarmee. 

Ein eigenes Spiel betreibt in dieser komplizierten Gemengelage die Türkei, die insbesondere im Norden Syriens interveniert, mit unklaren Absichten und unter Bildung schwer zu durchschauender Koalitionen. 

Obwohl es der kollektive Westen, Deutschland inklusive, ist, der in Syrien einen souveränen Staat angreift und damit gegen elementare Völkerrechtsregeln verstößt, hat man in Washington, Brüssel und Berlin auch noch die Chuzpe, die legitime syrische Regierung mit Sanktionen zu belegen. Unter allerlei Vorwänden, doch die eigentliche "Schuld", die den Unmut von NATO, EU und ihren Mitgliedsstaaten hervorruft, liegt auf der Hand: die Weigerung der syrischen Regierung zu kapitulieren und ihr Land und Volk dem Chaos zur Zerstörung und dem europäisch-amerikanischen Imperialismus zur gnadenlosen Ausbeutung zu überlassen.  

EU-Sanktionen gegen Syrien wurden erstmals im Mai 2011, nur wenige Wochen nach Ausbruch der Unruhen und Krawalle, beschlossen und seitdem, wie heute beim Vorgehen gegen Russland und dessen Volk wieder zu beobachten, in mehreren "Paketen" verschärft und ausgeweitet. Zuletzt wurden sie durch Entscheidung des Rates der EU vom 31. Mai 2022 um ein weiteres Jahr bis zum 1. Juni 2023 verlängert. 

Neben personellen Sanktionen gegen 289 Personen und 70 Organisationen umfassen die antisyrischen restriktiven Maßnahmen ein Verbot der Einfuhr syrischen Erdöls, einst eine bedeutende Einnahmequelle, Restriktionen bei Investitionen in die syrische Wirtschaft, das Einfrieren der in der EU gehaltenen Vermögenswerte der syrischen Zentralbank sowie Ausfuhrbeschränkungen für Ausrüstung und Technologie. Anders als die personellen Sanktionen treffen die Handelsbeschränkungen und der faktische Diebstahl syrischen Volksvermögens natürlich das gesamte syrische Volk. Sie erschweren den Wiederaufbau dort, wo der Bürgerkrieg durch den Sieg der legitimen Regierung inzwischen beendet werden konnte, und sie verzögern das Ende des Leidens in noch umkämpften Landesteilen.

Nach dem verheerenden Erdbeben vom Montag, dessen Folgen noch nicht endgültig feststehen, aber sich schon jetzt als Horror erweisen, appellierten unter anderem die christlichen Kirchen des Nahen Ostens, die Sanktionen zumindest auszusetzen. Unter anderem der Generalsekretär des in Beirut ansässigen Kirchenrats des Nahen Ostens, Michel Abs, rief zur sofortigen Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Syrien auf. Der Kirchenrat im Nahen Osten umfasst etwa 30 Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, darunter Katholiken, Orthodoxe, Ostkirchen und Protestanten. Er vertritt alle Kirchen des Nahen Ostens und ist unter anderem mit allen großen christlichen Kirchen in Europa und Nordamerika verbunden.

Abs sagte der Berliner Zeitung:

"Die Sanktionen treffen seit Jahren die Bevölkerung schwer und nicht die herrschenden Gruppen. Wegen der Sanktionen kommt nun auch die Erdbebenhilfe nicht in Syrien an, weil wir keine Gelder aus dem Libanon nach Syrien überweisen können. Die Menschen leiden unter Armut, Hunger und Krankheiten. Es ist menschenunwürdig, dass wird den Menschen nicht helfen können."

Auch der syrische Außenminister hat inzwischen für eine Aufhebung oder zumindest Aussetzung der Sanktionen zur Beschleunigung der Wiederaufbauhilfe nach dem Erdbeben plädiert.

Die Antwort der Bundesregierung kam prompt. In der Bundespressekonferenz am Donnerstag in Berlin lehnte die Pressesprecherin des Auswärtigen Amtes Andrea Sasse eine Lockerung der Sanktionen oder die Freigabe des eingefrorenen Vermögens des syrischen Staates rundweg ab (siehe Video): 

"Unsere Position dazu ist klar, und die hat sich auch nicht verändert. Die EU-Sanktionen richten sich unmittelbar gegen das syrische Regime und seine Unterstützer, ganz konkret gegen die Profiteure der Kriegswirtschaft und auch gegen Personen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen vor Ort zu verantworten haben. Wir haben bei allen EU-Sanktionspaketen, die verhängt wurden, natürlich immer geprüft und genau berücksichtigt, dass negative Folgen in irgendeiner Art für die Zivilbevölkerung nach Möglichkeit vermieden werden, das hat für uns oberste Priorität und hatte und hat es auch weiterhin. Das möchte ich an dieser Stelle nochmals deutlich betonen." 

Der deutsche Imperialismus kennt weder Menschlichkeit noch Gnade, daher muss die uneinsichtige und sture Position der Bundesregierung in Frage der Syrien-Sanktionen auch niemanden wundern. Das darf nie vergessen werden, insbesondere dann nicht, wenn es in naher Zukunft zum Tribunal über alle seine Akteure kommt. 

Mehr zum Thema – China fordert Ende der illegalen Ausbeutung von Syriens Ressourcen

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.