Alexander Rahr zu Afghanistan: "Ein ernsthafter Reifetest für die chinesisch-russischen Beziehungen"
Der Publizist und Russlandexperte Alexander Rahr hat sich zur Niederlage des Westens in Afghanistan geäußert und empfiehlt zur Friedenssicherung in der Region die Zusammenarbeit mit den zentralasiatischen Staaten. "Der Westen hat in Afghanistan vollständig ein Fiasko erlitten. Vor 20 Jahren sind die Europäer den USA blind gefolgt, ohne alternative Szenarien, Ziele und Strategien zu durchdenken", sagte Rahr am Dienstag der russischen Zeitung Wsgljad.
Rahr rät dazu, dass die NATO dringend mit der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) verhandeln müsse, um die Bedrohung durch den radikalen Islamismus zu stabilisieren und einzudämmen. Darüber hinaus sollte die Europäische Union (EU) die Zusammenarbeit mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) suchen.
OKVS und SOZ
Die OKVS ist eine sicherheitspolitische Koordination der Staaten Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Russland, Tadschikistan und Weißrussland, die 2002 aus dem Vertrag über kollektive Sicherheit hervorging. Afghanistan und Serbien haben seit 2013 einen Status als Beobachter. Usbekistan ist im Jahr 2012 aus der Organisation ausgetreten.
Die SOZ wurde 2001 von den Staaten der "Shanghai 5" gegründet: China, Kasachstan, Kirgistan, Russland und Tadschikistan. Zum ursprünglichen Zweck der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit kamen neue Aufgaben in Wirtschaftsfragen hinzu. Usbekistan trat im Jahr der Gründung bei, Indien und Pakistan im Jahr 2017.
Afghanistan, Iran, die Mongolei und Weißrussland haben bei der SOZ einen Status als Beobachter. Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka und die Türkei sind Dialogpartner.
EU handelt im Schoß der US-Politik
Laut eigener Aussage bedauert es Rahr, dass die EU in einigen außenpolitischen Fragen immer noch im Schoß der US-Politik handele, die darauf abziele, Russland und China einzudämmen. Das sei eine absolute Sackgasse.
"Die Amerikaner setzen nun eher auf die Eindämmung Russlands und Chinas als auf den islamischen Faktor und haben daher beschlossen, sich aus Afghanistan zurückzuziehen."
Die Europäer stünden aber bald vor einem großen Problem, wenn sich erneut ein Strom von Flüchtlingen aus Afghanistan in Richtung Europa in Bewegung setzte. Die kürzlich geäußerten Forderungen europäischer Politiker nach einer neuen Afghanistanstrategie seien dagegen ohne realistische Grundlage.
Entgegen entsprechender Verlautbarungen aus Großbritannien könne in Europa keine Macht ohne die Hilfe der USA das politische Vakuum in Afghanistan füllen. Großbritannien habe, wie auch viele andere europäische Länder, schon lange die Möglichkeit verloren, global zu handeln.
"Es ist ein krampfhafter Versuch, gescheiterte Aktionen in der Region zu rechtfertigen. Das ist die Art von Gerede, die wir in Libyen, Syrien und im Irak gehört haben. Das sind leere Worte."
Selbst wenn Großbritannien eine europäische Bewegung zur Rückkehr nach Afghanistan anführen wollten, würde niemand in Europa dieser folgen. Rahr zufolge hat die EU derzeit weder die Vorstellungskraft noch den politischen Willen, eigenständig Entscheidungen zu treffen.
"Europa bleibt nur auf dem Papier ein internationaler Akteur."
Anstatt die islamistische Karte gegen sie auszuspielen, müssten die westlichen Strategen mit Russland und China und den zentralasiatischen Ländern zusammenarbeiten.
Reifetest für chinesisch-russische Beziehungen
In Bezug auf eine gemeinsame Position Russlands und Chinas äußert sich Rahr zuversichtlich. Russland und China würden versuchen, ihre Position in Afghanistan zu stärken, um die Krise in der Region zu bekämpfen.
"Dies wird ein ernsthafter Reifetest für die chinesisch-russischen Beziehungen sein. Wer, wenn nicht sie, soll dem wachsenden Islamismus in der Region entgegentreten?"
Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit werde daher auf die SOZ gerichtet sein. Russland und China sollten Rahr zufolge unbedingt Iran in ihre Strategie zur Sicherung des Friedens einbeziehen.
Pakistan werde ebenfalls versuchen, sich einen Teil des Einflusses in Afghanistan zu sichern. Rahr nimmt an, dass von dort aus neue Strukturen der Al-Qaida in Afghanistan aufgebaut werden.
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