Grünen-Hoffnungsträger für EU-Wahl scheitert schon vorab an MeToo-Vorwurf
Die diesjährige Wahl zum Europäischen Parlament findet voraussichtlich vom 6. bis 9. Juni in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union statt. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen setzt dabei intern unter anderem auf den sogenannten "Hoffnungsträger" der Zukunft. Auf seiner Webseite schreibt Malte Gallée zu seiner Person: "Ich bin der jüngste deutsche Europaabgeordnete und sogar jünger als die EU selbst". Aktuell wird der steile Karriereweg des ambitionierten Grünen-Politikers durch mehrere Artikel des Boulevard-Magazins Stern vorerst gestoppt. Die wiederholten "MeToo-Vorwürfe" beziehen sich auf Aussagen "etlicher Mitarbeitender der Partei seit Sommer 2022". In das Kreuzfeuer der Kritik gerät nun auch seine Chefin, die Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke. Ihr wird Untätigkeit vorgeworfen.
Der erste Artikel seitens des Stern-Magazins zur Causa Gallée erfolgte am 1. März und trug den Titel (Bezahlschranke):
"MeToo-Vorwürfe: 'Ich hatte richtig Angst vor ihm': Von einem grünen Polittalent, das Grenzen ausgetestet und sie überschritten haben soll."
Der Artikel beschreibt einleitend das ambitionierte Streben des jungen Grünen-Politikers mit der Umschreibung, "es schien, als schwebte er unaufhörlich Richtung Macht". Typisches Agieren des Grünen in Brüssel scheint demnach so ausgesehen zu haben:
"Es gibt Europaabgeordnete. Und es gibt Malte Gallée. Neben seiner Bürotür im Parlament in Brüssel liegen silbrig glitzernde High Heels. Er zieht sie manchmal an, ruft den Umstehenden zu, er gehe mal die Rechten ärgern, und stolziert auf dem Weg zur Raucherterrasse im siebten Stock an den Büros der AfD vorbei. Oder er kurvt mit dem Tretroller durch die Parlamentsflure, als sei die europäische Politik ein Kindergeburtstag und er das Geburtstagskind."
Laut dem Artikel hätten parallel zum leichten Leben des Daseins jedoch auch die Kritik etlicher Mitarbeiterinnen der Partei in Brüssel gehört, beginnend im Jahr 2022. Gallée rückte im Dezember 2021 für Sven Giegold ins Europaparlament nach. Zuvor verfehlte er im Jahr 2019 den Einzug ins Europaparlament. Sein Regional-Büro liegt im bayerischen Bamberg.
Seit dem Sommer 2022 kam es demnach dann zu den ersten lauteren Vorwürfen von Kolleginnen über Gallée, der sie "sexuell belästigt" haben soll. Laut Stern-Recherchen gingen in dieser Zeit "mehrere Beschwerden bei Ombudspersonen der Grünenfraktion im Europaparlament ein". So heißt es zu den sich häufenden Situationen:
"Die Vorwürfe betrafen demnach zunächst grenzüberschreitendes Verhalten, unerwünschte Berührungen, ungebetenes Betreten von Büros, aber auch Mobbing."
In einem Stern-Folgeartikel vom 5. März heißt es, dass Unterstützer der "MeToo"-Vorwürfe die grüne Brüsseler Parteispitze "mit klaren Worten kritisiert" hätten. In einem offenen Brief von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Europäischen Grünen, der dem Stern vorliegt, heißt es dazu:
"Wir weigern uns, uns an der Abwiegelung unserer Führung zu beteiligen, die weder dem Ernst der Lage, noch der Führungsverantwortung und der Erfahrungen der Betroffenen gerecht wird. Wir stehen in unerschütterlicher Solidarität mit den Opfern von Mobbing und ihren Zeugen."
Das Schreiben wurde laut Stern-Artikel von "100 ehemaligen und aktuellen Grünen-Mitarbeitern in Brüssel" unterzeichnet. Adressiert ist das Schreiben unter anderem auch an die deutsche Vorsitzende der Grünen-Europafraktion, Terry Reintke. Seit 1999 bilden die Grünen gemeinsam mit der Europäischen Freien Allianz (EFA) in der sich etwa Regionalparteien zusammengeschlossen haben, eine gemeinsame Fraktion. Die deutsche Parteispitze hätte dabei seit gut einem Jahr "von den Vorwürfen gegen den deutschen Abgeordneten gewusst – ohne dass dies Konsequenzen hatte". Der Vorwurf aus internen Brüsseler Kollegenkreisen an Reintke lautet demnach: "Sie habe keine geeigneten Maßnahmen gegen Malte Gallée ergriffen".
Reintke lehnte eine Interviewanfrage des Sterns ab. Gallée wiederum soll seine Chefin bereits Ende Februar über seinen Rücktritt informiert haben. Auf seiner Webseite heißt es dazu in einer persönlichen Erklärung:
"Unkonkrete Gerüchte über mich hatte es bereits zuvor gegeben und ich habe die Ombudsstelle meiner Fraktion im Europäischen Parlament schon im Jahr 2022 aktiv gebeten, diesen nachzugehen. Ich bin davon überzeugt, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen; zugleich war und bin ich selbstverständlich jederzeit bereit, aktiv zu einer Klärung beizutragen."
Die Webseite der bayerischen Grünen haben die Informationen zu Gallées EU-Tätigkeiten mittlerweile offline genommen. Im jüngsten Stern-Artikel zur Causa heißt es am 7. März:
"Ein MeToo-Fall in der Grünen-Fraktion im EU-Parlament wird nun brenzlig für die deutsche Fraktionschefin Terry Reintke. In einer Fraktionssitzung am Mittwoch soll es nach Angaben mehrerer Teilnehmer hoch her gegangen sein. Besonders in der französischsprachigen Delegation der Partei bröckelt offenbar die Unterstützung für Reintke. Mehrere Abgeordnete sollen in der Sitzung wütend gewesen sein, dass die Fraktionsspitze die seit längerer Zeit bekannten Gerüchte über Malte Gallée nicht ernst genommen habe. Und auch, dass sich die Fraktionsspitze nun hinter formalen Ausreden verstecke."
Eine ungenannte französische Grünen-Abgeordnete bezeichnete gegenüber Stern-Mitarbeitern den Führungsstil der deutschen Co-Fraktionsvorsitzenden Reintke als "undemokratisch". Zudem gab sie zu Protokoll, dass Malte Gallée "nicht der einzige problematische Abgeordnete der grünen Europagruppe" in Brüssel sei.
In internen Mails im Brüsseler Europaparlament soll Reintke in den vergangenen Tagen mehrmals mitgeteilt haben, dass "ihr Schwere und Ausmaß der Vorwürfe gegen Malte Gallée nicht bekannt gewesen seien". Nach Recherchen des Sterns stimmt diese Aussage nicht. Reintke hat demnach "bereits im Oktober 2022 von den Vorwürfen gegen Gallée gewusst".
Ein Taz-Artikel zu den Brüsseler Ereignissen erinnert daran, dass Reintke, hauptberuflich die aktuelle Spitzenkandidatin der Grünen bei der kommenden EU-Wahl, die "MeToo"-Debatte "einst nach Brüssel brachte". Sie warb in ihrem Programm als Schwerpunkt "für Maßnahmen des Parlaments gegen sexuelle Belästigung und wurde dafür neben anderen im Time Magazine zur 'Person of the Year' gekürt". Die Recherchen und daraus erfolgte Konsequenzen des Sterns stellen nun "eine Gefahr für ihre Glaubwürdigkeit" dar.
Eine Stellungnahme der deutschen grünen Parteispitze ist bis dato noch nicht erfolgt. Parteichefin Ricarda Lang bezog sich auf Taz-Nachfrage nur auf die Situation von "MeToo"-Regelungen in Brüssel. Dazu heißt es, Lang zitierend: "Es gebe Strukturen und die 'wurden in den letzten Jahren auch deutlich gestärkt'".
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