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Russlands Nuklearwaffen in Weißrussland sollen einen westlichen Mythos zerstören

"Polen wird nun seine Entscheidungen über Truppenaufmärsche an der Grenze zu Weißrussland viel umsichtiger treffen", kommentieren Experten Wladimir Putins Ankündigung der Stationierung taktischer Atomwaffen in Weißrussland. Die Reaktion Europas fällt indes paradox aus, denn US-Atomwaffen auf dem eigenen Gebiet scheinen der EU keine Sorgen zu bereiten.
Russlands Nuklearwaffen in Weißrussland sollen einen westlichen Mythos zerstörenQuelle: Sputnik

Von Rafael Farchutdinow

Moskau und Minsk haben vereinbart, taktische Nuklearwaffen auf dem Gebiet Weißrusslands zu stationieren, erklärte der russische Präsident Wladimir Putin. In einem Interview mit dem Fernsehkanal Rossija 24 sagte er:

"Wir haben den Weißrussen bereits geholfen. Wir rüsteten Flugzeuge um, zehn Flugzeuge sind zum Einsatz von Nuklearwaffen bereit, wir übergaben Iskander-Komplexe. Ab dem 3. April werden wir beginnen, Besatzungen auszubilden und ein Lager für Nuklearwaffen zu bauen. Wir übergeben unsere taktischen Nuklearwaffen nicht an Weißrussland, doch wir werden sie stationieren und Militärangehörige ausbilden, wie es die USA in Europa tun."

Putin bemerkte, dass die Waffen ohne Verletzung entsprechender internationaler Verpflichtungen stationiert werden. Dem Präsidenten zufolge wurde die Erklärung Großbritanniens über Lieferungen von Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine zum Anlass.

Putin erwähnte ebenfalls, dass Weißrussland um eine Stationierung russischer Atomwaffen auf dem eigenen Gebiet bat. Er fügte hinzu, dass Moskau das tue, was die USA seit Jahrzehnten tun. Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti zitierte den Präsidenten wie folgt:

"Sie verfügen über Verbündete in gewissen Ländern und bereiten Träger und Besatzungen vor."

Die USA haben bereits auf die Entscheidung Russlands reagiert, meldete Reuters. Ein hochrangiger Vertreter der Administration des US-Präsidenten erklärte: "Wir sehen weder Gründe für eine Korrektur unserer eigenen strategischen nuklearen Position noch irgendwelche Anzeichen dafür, dass Russland einen Einsatz von Nuklearwaffen vorbereitet."

In Kiew riefen die Geschehnisse Kritik hervor. Der Kreml habe Weißrussland als "nukleare Geisel" genommen, behauptete der Sekretär des nationalen Rats für Sicherheit und Verteidigung der Ukraine Alexei Danilow. Die Ukraine hat in diesem Zusammenhang zur Versammlung einer außerordentlichen Sitzung des UN-Sicherheitsrats aufgerufen.

Die NATO bezeichnete Moskaus Entscheidung als "gefährlich und verantwortungslos". Bulgariens Vizepräsidentin Ilijana Jotowa hat sofortige Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gefordert und wies darauf hin, dass die Lage "immer gefährlicher und erschreckender" werde. Das Bundesaußenministerium bezeichnete Russlands Handlungen als einen "weiteren Versuch der nuklearen Einschüchterung", schrieb Die Welt.

Die Zeitung Wsgljad berichtete, dass für taktische Nuklearwaffen in Weißrussland wahrscheinlich Kampfflugzeuge vom Typ Su-25 umgerüstet sowie Jäger vom Typ MiG-29 modernisiert werden. Es wäre auch eine Generalüberholung taktischer Bomber vom Typ Su-24M denkbar, die in der späten Sowjetunion Hauptträger von taktischen Nuklearwaffen waren.

Darüber hinaus erwähnte Putin Iskander-Komplexe. Die Raketen dieser Komplexe können ebenfalls mit Nuklearsprengköpfen ausgestattet werden. Die Reichweite der Iskander beträgt Hunderte von Kilometern, und diese Raketen können nicht durch moderne Luftabwehrkomplexe abgefangen werden.

Die Stationierung russischer Nuklearwaffen in Weißrussland werde Eskalation und eine Gefahr für europäische Sicherheit bedeuten, behauptete der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell. Interessanterweise hält er die Präsenz US-amerikanischer Nuklearwaffen in Europa für keine Eskalation.

Diese Präsenz ist weit bekannt. US-amerikanische Nuklearwaffen befinden sich in Europa seit dem Kalten Krieg. So hatte das Komitee der Parlamentarischen Versammlung der NATO im Jahr 2019 einen Bericht veröffentlicht, in dem gemeldet worden war, wo die USA ihre Atombomben vom Typ B61 stationieren. So sind 20 Bomben am Fliegerhorst Büchel nahe der Stadt Cochem im Verantwortungsbereich der 702. Geschwader der US-Luftwaffe stationiert.

Weitere 22 Bomben befinden sich auf dem Militärflugplatz Kleine Brogel in Belgien, wo das 10. Taktische Geschwader der belgischen Luftwaffe stationiert ist. Weitere 20 Bomben befinden sich auf dem Militärflugplatz Volkel in den Niederlanden, 35 Bomben sind im Südosten Italiens, 50 Kilometer westlich der Stadt Udine stationiert. Ebenfalls in Italien gibt es ein weiteres Atomwaffenlager – 40 Bomben befinden sich auf dem Militärflugplatz Ghedi im Norden des Landes, 15 Kilometer weit von Brescia.

Schließlich gibt es den östlichsten Kommandostützpunkt der US-Luftwaffe in Europa – Incirlik, wo das 39. Geschwader der US-Luftwaffe sowie das 10. Geschwader und das 2. Kommando der türkischen Luftwaffe stationiert sind. Auf dem Stützpunkt werden 50 Atombomben aufbewahrt, meldet das Portal Wojennoje Obosrenije.

Russland hatte indessen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sämtliche Nuklearwaffen aus ehemaligen Sowjetrepubliken ausgeführt. Bedeutende Arsenale hatte es in der Ukraine, in Kasachstan und auch in Weißrussland gegeben. Im Grunde kehrt die Lage in bestimmter Hinsicht zum Zustand aus der Sowjetzeit zurück, hatten doch die USA ihre Atomwaffen niemals aus Europa entfernt.

"In militärischer Hinsicht hat die Stationierung taktischer Nuklearwaffen in Weißrussland keine größere Bedeutung. Alle Länder versuchen, Nuklearwaffen möglichst weit weg von der Grenze zu stationieren, damit sie im Fall eines umfassenden militärischen Konflikts nicht schnell vernichtet werden. Die USA haben viele Möglichkeiten, taktische Atomwaffen näher an Russland zu stationieren – in Polen, in den baltischen Ländern, in Rumänien, in Bulgarien. Doch sie tun das nicht, um die Waffen nicht verwundbarer zu machen", erklärte der Akademiker der Russischen Akademie der Wissenschaften Alexei Arbatow und bemerkte:

"Darüber hinaus bedeutet die Stationierung taktischer Atomwaffen auf dem Gebiet eines Verbündeten in militärischer Hinsicht keine Bereitschaft, sie einzusetzen."

"Weder Russland noch die USA haben das Recht, Atomwaffen an Drittstaaten zu übergeben, dies verbieten Artikel 1 und 2 des Atomwaffensperrvertrags. Die taktischen Nuklearwaffen werden sich im Zuständigkeitsbereich der nukleartechnischen Truppen der 12. Hauptverwaltung des russischen Verteidigungsministeriums. Dies ist eine eigene Truppengattung, die taktische Atomwaffen an andere Truppen nur auf Befehl des Oberbefehlshabers der russischen Streitkräfte, also des Präsidenten, übergeben kann. Und diese Verwaltung untersteht ihm direkt", betonte der Experte.

Tatsächlich hatte Weißrusslands Präsident bereits zuvor von seinem Wunsch gesprochen, russische Nuklearwaffen auf dem Territorium seines Landes zu haben. Im Jahr 2021 hatte er angekündigt:

"Ich werde Putin vorschlagen, Nuklearwaffen nach Weißrussland zurückzubringen."

Worin besteht das Motiv des weißrussischen Staatschefs?

"Wozu braucht Lukaschenko das? Dies bestätigt die Festigkeit des Bündnisses zwischen Minsk und Moskau. Nun ist Weißrusslands Sicherheit nicht nur durch allgemeines Militär, sondern auch durch Nuklearwaffen gewährleistet. Darüber hinaus steigert dies das politische Gewicht des weißrussischen Staatschefs auf internationaler Ebene, vor allem in Europa", erklärte Arbatow.

Doch auch für Russland haben diese Geschehnisse einen klaren politischen Sinn. Der stellvertretende Leiter des Zentrums für komplexe europäische und internationale Forschungen der Wirtschaftshochschule Moskau Dmitri Suslow erklärte:

"Die Stationierung taktischer Nuklearwaffen in Weißrussland ist ein Signal von Moskau an die USA und die EU, dass die Schaffung eines antirussischen Brückenkopfes in Kiew, das Aufpumpen der Ukraine mit Waffen, die Erweiterung der US-amerikanischen Militärpräsenz in Osteuropa die Risiken eines direkten Zusammenstoßes zwischen Russland und der NATO und einer anhaltenden Konfrontation und Wettrüstens erhöhen."

"Die USA und die EU versuchen, sich und die ganze Welt zu überzeugen, dass ihre Politik in der Ukraine nicht zu einem Anstieg strategischer Risiken führe. Russland ist daran interessiert, diesen Mythos zu zerstören. Dazu unternimmt Moskau folgende Schritte: die Aussetzung der Teilnahme am START-Vertrag sowie die Stationierung taktischer Nuklearwaffen in einem Nachbarstaat", erklärte der Experte.

"Eine sehr wichtige Aufgabe für Russland ist es, den Eliten der USA und der EU von einem realen voll umfassenden Krieg, wenn Sie so wollen, von einem Dritten Weltkrieg abzuschrecken. Diese Angst existierte im Westen während des Kalten Krieges. Das ist das Einzige, was die Lage jetzt stabilisieren kann. Wenn man in Europa und den USA von Schutzbunkern und selbst gemachten Gasmasken zu sprechen beginnt, werden ihre Regierungen sich um Deeskalation und einen Dialog mit Moskau bemühen", sagte Suslow.

"Für Minsk bedeutet dies eine Verstärkung der Zurückhaltung der europäischen Länder von einem potenziellen Konflikt. So wird etwa Polen seine Entscheidungen über Truppenaufmärsche an der Grenze zu Weißrussland nun viel umsichtiger treffen", resümierte der Analytiker.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.

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