Spannungen um die Ukraine zeigen: EU hat die Kontrolle über ihre Mitgliedsstaaten verloren
Ein Kommentar von Paul A. Nuttall
Das Drama rund um die Ukraine hat Differenzen ans Licht gezerrt und gezeigt, dass die EU ein zahnloser Tiger ist. Die Union kann Erklärungen abgeben und demonstrativ Einigkeit zeigen, aber in Wirklichkeit hat sie – zumindest in dieser Frage – die Kontrolle über ihre Mitgliedsstaaten verloren. Zunächst einmal kann sich die EU nicht einmal darauf einigen, wer die Verhandlungen mit Russland führen soll. Einige Mitglieder scheinen vollkommen zufrieden damit zu sein, in dieser Frage den Vereinigten Staaten die Führung zu überlassen, während andere eifrig darauf pochen, dass sich die EU einbringt und auf der internationalen Bühne eine Erklärung abgibt.
Nehmen wir zum Beispiel den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er hat die EU aufgefordert, einen eigenen Dialog mit Russland aufzunehmen und so den "Mittelsmann" USA auszuschalten. In der Tat sagte Macron während einer Rede, die er vergangene Woche vor Abgeordneten in Straßburg hielt: "Die Sicherheit unseres Kontinents erfordert eine strategische Stärkung Europas als Friedensmacht, als ausgleichende Kraft, insbesondere in einem Dialog mit Russland. Ich setze mich seit mehreren Jahren für diesen Dialog ein. Wir brauchen diesen Dialog."
Berichten zufolge löste diese Rede in Washington große Besorgnis aus, und es wurden umgehend Aufrufe laut, mit denen man Macrons Aussage zu relativieren versuchte. EU-Hochkommissar Josep Borrell behauptete sogar, Macron habe "nicht gesagt, dass die Europäer den Russen ihre eigenen Vorschläge unterbreiten werden". Borrell kann das, was Macron gesagt hat, beliebig drehen und wenden wie er will, aber die Realität ist, dass wir alle wissen, dass die Franzosen sich nie wohl dabei gefühlt haben, dass die europäische Außenpolitik von Washington aus diktiert oder geführt wird. Das war schon immer so und wird immer so bleiben.
Auch bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine gibt es Meinungsverschiedenheiten. Einige EU-Mitgliedsstaaten sind dafür, andere dagegen, und Brüssel erweist sich auch hier als machtlos. Dies wurde nach einem Treffen der EU-Außenminister am vergangenen Montag betont, als Anže Logar, der slowenische Vertreter, zu Journalisten sagte, dass die Frage einer Hilfe für die Ukraine, Sache jedes einzelnen Mitgliedsstaates sei und nicht Gegenstand einer Harmonisierung innerhalb der EU. Da in dieser Frage die EU ins Abseits gedrängt wird, bestimmen die Mitgliedsstaaten ihre eigene Politik. Zu denjenigen, die Waffenlieferungen in die Ukraine befürworten, gehört der niederländische Premierminister Mark Rutte, der kürzlich sagte: "Sollte diese Anfragen kommen, mit defensiven Waffen zu helfen, so haben wir den politischen Spielraum".
Auch Estland, Litauen und Lettland haben Waffenlieferungen zugesagt. Dies ist auf die Zustimmung des US-Außenministeriums gestoßen, das grünes Licht für die Verlegung von in den USA hergestellten Waffen aus den baltischen Staaten in die Ukraine gegeben hat.
Weitere Länder haben nachgezogen, darunter Polen und Spanien. Doch die Entscheidung der spanischen Regierung, Kampfflugzeuge und ein Kriegsschiff in die Region zur Ukraine zu schicken, hat zu einem Riss quer durch die Regierung gesorgt. So sagte beispielsweise die Gleichstellungsministerin Irene Montero Gil, die gegen die Entsendung spanischer Militärausrüstung ist: "Wir sind Menschen des Friedens. Wir setzen uns für Frieden, für die Deeskalation des Konflikts, für die Vermeidung von Militärübungen in der Region und für Dialog und Diplomatie ein." Ebenso wurde die Entscheidung der tschechischen Regierung, Waffen zu schicken, im dortigen Parlament kritisiert, wobei der Vorsteher der Partei Freiheit und direkte Demokratie, Tomio Okamura, sich zur Behauptung hinreißen ließ, dass die Regierung versuche, die Tschechische Republik in einen Krieg zu verwickeln.
Andererseits bleibt die neue deutsche Bundesregierung entschlossen, die Verlegung militärischer Ausrüstung aus deutscher Produktion in die Ukraine nicht zuzulassen. Bundeskanzler Olaf Scholz begründete diese Haltung damit, dass "Deutschland in den vergangenen Jahren den Export letaler Waffen nie unterstützt hat". Darüber hinaus pflegen nicht wenige EU-Staaten auch freundschaftliche Beziehungen zu Russland. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán beispielsweise wird Anfang Februar zu Gesprächen mit Wladimir Putin nach Moskau reisen. Orbán zeigt keinerlei Anzeichen dafür, seinen Besuch abzusagen, obwohl er von den ungarischen Oppositionsparteien dazu gedrängt wird.
Während all dies geschieht, steht die EU als passiver Zuschauer untätig daneben. Sie kann die Ereignisse nicht beeinflussen, weil sie dazu nicht in der Lage ist. Dies beweist auch, dass die EU keinen wirklichen Einfluss auf seine Mitgliedsstaaten hat. Vielleicht wurde die Union auch deshalb von den jüngsten Verhandlungen zwischen Russland und den USA in Genf ausgeschlossen? Die Situation hat auch deutlich gemacht, warum die EU niemals eine kohärente Außenpolitik haben wird – es gibt einfach zu viele Eigeninteressen der Mitgliedsstaaten, und wenn es darauf ankommt, übertrumpfen nationale Prioritäten immer die Loyalität gegenüber der Union. Das berühmte Sprichwort "Zu viele Köche verderben den Brei" umschreibt perfekt die EU und ihre wacklige Reaktion auf das anhaltende ukrainische Problem.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Paul A. Nuttall ist Historiker, Autor und ehemaliger Politiker. Er war von 2009 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und war ein prominenter Aktivist für den Brexit.
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