Meinung

Nur der Eskalation verpflichtet – Maybrit Illner diskutiert über die ukrainische Gegenoffensive

Maybrit Illner diskutierte mit ihren Gästen über die ukrainische Gegenoffensive. Man ist sich einig: der Krieg wird noch lange dauern, Waffen müssen nachgeliefert werden, die Bilder werden grausamer. Der Tipp ans Publikum: Gewöhnt euch dran! Diplomatisch allerdings ist Deutschland ein Totalausfall.
Nur der Eskalation verpflichtet – Maybrit Illner diskutiert über die ukrainische Gegenoffensive

Von Gert Ewen Ungar

Deutschland ist Kriegstreiber. Wer bisher daran noch Zweifel hegte, den musste die Sendung von Maybrit Illner vom 15. Juni letztlich zur Einsicht bringen. Dort diskutierten Lars Klingbeil (SPD), Roderich Kiesewetter (CDU), der frühere Diplomat Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes Oberst André Wüstner und die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff unter der Überschrift "Schwierige Offensive – Putins Stärke unterschätzt" über die ukrainische Gegenoffensive. Sie bereiteten dabei die Deutschen auf einen nun doch langen Krieg vor, der immer grausamere Bilder produzieren wird. Dagegen lässt sich nichts machen, suggerierten die versammelten Schreibtischtäter den Zuschauern. Auf die Einladung auch nur einer Gegenstimme zur Kriegstreiberei als verschämtes Feigenblatt wurde verzichtet, man ist unter sich.

Die Sendung stand allerdings in scharfem Kontrast zu all den Leopard-Talkshows zu Beginn des Jahres, mit denen der Eindruck vermittelt wurde, die Ukraine brauche jetzt nur endlich ein paar deutsche Panzer – und dann wäre ihr der Sieg schon sicher. Über die Lieferung von 14 Panzern des Typs Leopard 2 wurde damals diskutiert. Heute will von einer Obergrenze der Anzahl niemand mehr etwas wissen. Die Argumentation ist inzwischen eine andere: Die Verluste auf dem Schlachtfeld müssten schnell ersetzt werden, meint Wüstner. Dazu müsse die Waffenproduktion in Deutschland und in der EU hochgefahren werden. Er spricht lediglich über mörderische Militärtechnik. Wie die Ukraine auf Dauer die hohen Verluste an Menschenleben ersetzen soll, davon spricht er nicht. 

Bei Illner machte man es sich im Talkshow-Sessel bequem, um die Deutschen – und vor allem auch die Ukrainer – auf einen langen Krieg einzustimmen. Ja, die Bilder, die man jetzt sieht, sind schrecklich, aber sie werden noch schrecklicher, versichert man sich in der Runde, denn Krieg ist nun einmal so. Die Sendung bezeugt den tiefen Zynismus und das grundlegende Fehlen eines moralischen Kompasses der eingeladenen Gäste. 

Grausame Bilder gehören nun mal zu einem Krieg, meint ganz salopp auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. Es sei ein Krieg, den wir alle nicht wollen, fügt er hinzu, und von dem wir hoffen, dass er schnell zu Ende geht. Es wirkt völlig unglaubhaft, angesichts all dessen, wie dort argumentiert wird. Nein, diese Diskussionsrunde will diesen Krieg, und sie will auf gar keinen Fall ein schnelles Ende. 

Das Gespräch wirkte ohnehin wenig authentisch, sondern vielmehr von der Regie durchchoreographiert und inszeniert. Es war ein Crescendo in Richtung eine baldigen Lieferung von Kampfjets. An einem Weg aus der Eskalationsspirale heraus, an einer diplomatischen Lösung hat keiner der Anwesenden ein erkennbares Interesse – diese Denkrichtung taucht als Möglichkeit gar nicht auf. Man will die weitere Eskalation und man will, dass sich endlich auch die Deutschen mit diesem Krieg aussöhnen oder ihn zumindest als unvermeidlich und alltäglich hinnehmen. Deutschland schickt Waffen, verlängert den Krieg und tut alles dafür, dass eine ganze junge Generation in der Ukraine ausgelöscht wird. 

CDU-Hardliner Roderich Kiesewetter darf seinen eingeübten Spruch – wie schon bei vielen Gelegenheiten – wieder aufsagen, dass nämlich Russland endlich lernen müsse zu verlieren. Dass ausgerechnet ein Deutscher den Russen das Verlieren beibringen möchte, verdeutlicht das vollständige Fehlen nicht nur von Anstand, sondern vor allem dem notwendigen Geschichtsbewusstsein. Auch für die Deutschen, für die er ja im Bundestag sitzen darf, hat er eine Belehrung parat: Man sollte begreifen, dass dieser Krieg ein Marathon ist. "Gewöhnt euch dran", ist der thematische rote Faden, der sich durch die ganze Sendung zieht. 

Wolfgang Ischinger, Jurist, ehemals Diplomat und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, fügt an, dass ein deutscher "Leopard" nicht schon deshalb unverwundbar sei, weil es ein deutscher Panzer ist. Man rechne Verluste natürlich immer mit ein. Im Januar wurde das allerdings noch ganz anders rübergebracht. Da ging es um die Lieferung von einer begrenzten Stückzahl von Panzern und gar nicht um einkalkulierte Verluste, die dann auch noch zu ersetzen wären. Jetzt aber sei es wichtig, in der Unterstützung nicht nachzulassen und weiter Waffen zu liefern – auch darin sind sich alle einig.

Die Sendung verdeutlicht auch, wie die deutschen Medienkonsumenten von ihren mit üppigen "Beiträgen" bezahlten Medienmachern über den Tisch gezogen werden. Wer im Januar zähneknirschend wegen einer medial gepredigten angeblich zwingenden Notwendigkeit der Lieferung einer begrenzten Zahl von Panzern zugestimmt hat, wird jetzt darauf hingewiesen, dass das natürlich niemals als nur begrenzte Unterstützung gedacht war. Der Verlust war insgeheim ganz selbstverständlich einkalkuliert und muss jetzt ebenso selbstverständlich ersetzt werden. Wer sich veräppelt und hinters Licht geführt sieht, liegt damit leider vollkommen richtig. 

Natürlich wird die Sendung auch dafür genutzt, die Deutschen auf die nächste Eskalationsstufe, die Lieferung von Kampfjets vorzubereiten. Denn ohne Luftunterstützung sei dieser Krieg kaum zu gewinnen, erfährt der Zuschauer bei dieser Gelegenheit. Und das ist wohl auch derzeit der eigentliche Zweck dieser Inszenierung. Ein Einspieler machte die Notwendigkeit bereits deutlich, und Kiesewetter spricht es schließlich aus. Deutschland muss nicht nur die Versorgung mit Munition und Panzern gewährleisten, die Ukraine braucht nun dringend Kampfjets.

Wolfgang Ischinger erstaunt mit der Behauptung, dass dieser Krieg der erste sei, der vollkommen asymmetrisch geführt werde. Er spiele sich ausschließlich auf dem Gelände einer Kriegspartei ab. Russland sei bis auf eine Grenzregion vom Krieg gar nicht betroffen und unversehrt. Das gebe der russischen Regierung leider das Gefühl, das Ganze noch lange aushalten zu können.

Da fragt man sich, wo Ischinger war, als die deutsche Bundeswehr die deutschen Werte ganz asymmetrisch und einseitig am Hindukusch verteidigt hat, und wo war er während der US-Kriege in Vietnam, im Irak und in Syrien? Wodurch war Ischinger abgelenkt, als die NATO und mit ihr Deutschland ganz ungeniert völkerrechtswidrig die Republik Jugoslawien überfallen haben. Ischinger betreibt plumpe Desinformation und legt obendrein nahe, es sei jetzt völlig legitim, den Krieg endlich auf Russland auszuweiten.

Fake News zu verbreiten, bleibt sich Ischinger auch im weiteren Verlauf der Sendung treu. Russlands sei zwar in der Mangelwirtschaft, würde Chips aus Haushaltsgeräten und Autos ausbauen, behauptet Ischinger – noch immer faktenwidrig. Aber man könne die russische Rüstungsindustrie leider nicht einfach so "auf null bringen". Fakt ist, Russlands Wirtschaft wächst. Die entsprechenden Daten stehen auch Ischinger zur Verfügung. Er verbreitet in voller Absicht Falschbehauptungen und täuscht die deutschen Zuschauer. Der selbst angezettelte Wirtschaftskrieg geht für den Westen verloren, vor allem für die EU und dabei allen voran für Deutschland. Die Mär vom baldigen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft ist dagegen eine primitive Durchhalteparole.

Die Sendung ist allerdings zweifellos ein wichtiges Zeitdokument. Man sollte sie gut und sicher archivieren. Sie macht deutlich: Das politische Establishment in Deutschland will einen langen Krieg in der Ukraine. Die deutschen Bürger werden auf weitere Kriegsjahre und auf weitere Eskalationen eingestimmt. Deutschland will einen langen Krieg gegen Russland, für den man bereit ist, die Ukraine und insbesondere die Ukrainer komplett zu opfern. Der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland, er sitzt inzwischen in Talkshow-Sesseln. 

Aber auch dieser Krieg geht vorbei. Man sollte aus dieser Perspektive in und auf Deutschland blicken. Es gibt irgendwann das, was jetzt noch ein "schmutziger Friede" genannt wird. Die Ukraine tritt Teile ab, die Donbass-Republiken verbleiben bei Russland. Die Ukraine kommt zu sich und sieht, was in den letzten Jahren dort angerichtet wurde. Das Land ist geteilt, die Infrastruktur weitgehend zerstört, die Wirtschaft liegt am Boden, eine Generation ist ausgelöscht, und das Land ist auf ewig verschuldet. Und dann, so glaubt man wohl in diesen Kreisen, wird die (verbliebenen) Ukrainer ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit gegenüber Deutschland erfüllen, für all die Waffenlieferungen und den unbedingten Willen zur Eskalation, wodurch all das Elend und der Niedergang bewirkt wurden? Wohl kaum.

Vom Ende der Geschichte her betrachtet, lädt Deutschland erneut Schuld auf sich, steht mit seiner Kriegstreiberei und seinem Willen zu immer weiteren Eskalation erneut auf der falschen Seite der Geschichte, denn Deutschland steht auf der Seite des Krieges. Deutschland, das wird bei Illner deutlich, will Rache und Zerstörung, aber keine stabile Friedensordnung, die allen Ländern Europas dient. Während sich alle Welt um eine diplomatische Lösung bemüht, bleiben die verantwortlichen deutschen Politiker einzig der Vernichtungslogik des Krieges verpflichtet. Das ist – neben all den anderen oft beschworenen Gräueln der deutschen Geschichte im letzten Jahrhundert – schon ganz bemerkenswert schändlich.

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