"Klare antisemitische Hetze" – Documenta deckt Bild von indonesischen Künstlern ab
Kurz nach der Eröffnung der "documenta fifteen" fachen neue Vorwürfe die seit Monaten schwelende Antisemitismus-Debatte um die Schau weiter an. Der Direktor der "Bildungsstätte Anne Frank", Meron Mendel, forderte am Montag die Verantwortlichen der Weltkunstausstellung in Kassel auf, einen Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Motive zu entfernen. Die israelische Botschaft in Berlin reagierte ebenfalls empört, und es gab sogar Rücktrittsforderungen. Am Montagabend wurde nach der massiven Kritik das Banner schließlich abgedeckt.
Aufgrund einer Figurendarstellung, die antisemitische Lesarten ermögliche, habe sich das Kollektiv gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung "entschieden, die betreffende Arbeit zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren", teilte die documenta am Montagabend mit. Auf dem großflächigen Banner am Friedrichsplatz ist unter anderem ein Soldat mit Schweinsgesicht zu sehen. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift "Mossad" – die Bezeichnung für den israelischen Auslandsgeheimdienst.
Mendel sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa):
"Das ist eine klare Grenzüberschreitung. Diese Bilder lassen überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu. Das ist klare antisemitische Hetze."
Das Werk müsse umgehend abgedeckt oder bestenfalls entfernt werden, so der Pädagoge.
Taring Padi setze sich für die Unterstützung und den Respekt von Vielfalt ein, teilte das Künstler-Kollektiv in der Mitteilung der documenta mit.
"Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen."
Dem indonesischen Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa war schon vor Monaten vonseiten eines Kasseler Bündnisses vorgeworfen worden, auch Organisationen einzubinden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien. Ruangrupa und die documenta wiesen die Anschuldigungen entschieden zurück.
Bislang hatte sich Mendel in der Debatte hinter die documenta gestellt. Er sagte, er sehe dort keinen Antisemitismus, kritisierte aber die fehlenden Positionen von jüdischen Künstlern aus Israel. Mendel betonte am Montag, nicht die gesamte Ausstellung sei als antisemitisch zu bezeichnen. Er ergänzte:
"Man muss da differenzieren. Da ist sicher etwas schiefgelaufen. Aber so etwas sollte nicht passieren."
Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth nahm zu dem Fall Stellung. "Das ist aus meiner Sicht antisemitische Bildsprache", teilte die Grünen-Politikerin mit. Und sie fügte hinzu:
"Ich sage es noch einmal: Die Menschenwürde, der Schutz gegen Antisemitismus wie auch gegen Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit sind die Grundlagen unseren Zusammenlebens, und hier findet auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen."
Die documenta müsse das umgehend gegenüber den Kuratoren und Künstlern deutlich machen und "die notwendigen Konsequenzen" ziehen.
"Auch mein persönlicher Eindruck ist, dass hier eine antisemitische Bildsprache vorliegt", teilte die stellvertretende documenta-Aufsichtsratsvorsitzende, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), mit. Sie habe deshalb umgehend Kontakt zur Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, aufgenommen, mit dem Ziel, schnellstmöglich eine Klärung herbeizuführen.
"Bei der Abbildung auf dem Kunstwerk, das nach meiner derzeitigen Kenntnis erst am Samstag auf dem Friedrichsplatz installiert wurde, handelt es sich um einen antisemitischen Verstoß, der nicht von der Hand zu weisen ist", teilte der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, mit. Er habe die Geschäftsführung der Schau sowohl um Aufklärung als auch um Einleitung notwendiger Maßnahmen gebeten.
Geselle warnte indes davor, die documenta fifteen nun unter Generalverdacht zu stellen:
"In den Preview Days, die vergangene Woche von Mittwoch bis Freitag für Fachpublikum und Medien stattgefunden haben, waren keine antisemitischen Kunstwerke vorher feststellbar."
Empört zeigte sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Der Rat sei für seine Bedenken gegenüber der diesjährigen documenta von vielen Seiten kritisiert worden. Sogar Rassismus sei ihm indirekt vorgeworfen worden. "Es spielt jedoch keine Rolle, woher Künstler stammen, die Antisemitismus verbreiten", betonte Schuster. Kunstfreiheit ende dort, wo Menschenfeindlichkeit beginne. "Auf der documenta wurde diese rote Linie überschritten." Die Verantwortlichen müssten jetzt ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und Konsequenzen ziehen, forderte er.
Die israelische Botschaft in Berlin erklärte:
"Die in einigen Exponaten gezeigten Elemente erinnern an die Propaganda von Goebbels und seinen Handlangern in dunklen Zeiten der deutschen Geschichte."
Alle roten Linien seien nicht nur überschritten, sie seien zertrümmert worden. Und weiter:
"Diese Elemente sollten sofort aus der Ausstellung entfernt werden."
Das American Jewish Committee Berlin forderte sogar die Entlassung der documenta-Geschäftsführerin. Schormann solle umgehend von ihren Aufgaben entbunden, "der offen zur Schau gestellte Antisemitismus unverzüglich unterbunden und die entsprechenden Werke entfernt werden", erklärte Direktor Remko Leemhuis.
Die Gesellschafter der Kunstschau – die Stadt Kassel und das Land Hessen – müssten jetzt für Klarheit sorgen, forderte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, "da die Geschäftsführung der documenta fifteen offensichtlich dazu nicht bereit oder in der Lage ist." Die AfD im Landtag von Hessen verlangte gar, die documenta fifteen zu beenden.
Auch Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, äußerte sich bestürzt über das Monumentalgemälde:
"Als Mitglied der jüdischen Gemeinschaft, aber auch als Bürgerin dieses Landes bin ich entsetzt über den blanken Judenhass, der sich im Bild von Taring Padi zeigt."
Vor dem Hintergrund der Debatte um die 15. Ausgabe der documenta hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der Schau am Samstag schon die Grenzen der Kunstfreiheit betont: "Kunst darf anstößig sein, sie soll Debatten auslösen." Kritik an israelischer Politik sei erlaubt. "Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten", hatte er gesagt.
Die documenta, seit 1955 in Kassel, gilt neben der Biennale in Venedig als weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Sie wird nur alle fünf Jahre veranstaltet. Die Schau dauert noch bis zum 25. September.
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(rt de/dpa)
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