Meinung

Was bedeuten Macrons Äußerungen zur Entsendung von Bodentruppen?

Noch erhält Frankreichs Staatschef kaum Zuspruch für seine Aussage, dass man alles tun müsse, um Russlands Sieg zu verhindern, und deshalb "nichts ausgeschlossen" werden solle. Dass einige für die Verteidigung der NATO offensichtlich alles tun würden, ist beängstigend.
Was bedeuten Macrons Äußerungen zur Entsendung von Bodentruppen?Quelle: www.globallookpress.com © Henri Szwarc

Von Pierre Lévy

Emmanuel Macrons Äußerungen über den weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine blieben nicht unbemerkt. Nach der Konferenz, an der am 26. Februar rund 20 seiner westlichen Amtskollegen in Paris teilnahmen, schloss der französische Präsident die Entsendung von Bodentruppen zur Unterstützung der sich in einer schwierigen Lage befindenden ukrainischen Armee nicht aus.

In Bezug auf die Arbeiten dieses informellen Gipfels, der sich mit der Frage befasste, wie die Militärhilfe für Kiew aufgestockt werden kann, erklärte der Élysée-Palast vor Journalisten unter anderem: "Es gibt heute keinen Konsens, um auf offizielle, bestätigte und unterstützte Weise Bodentruppen zu entsenden; aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden." Dieser Satz könnte indirekt bestätigen, dass westliche Spezialtruppen vor Ort schon Unterstützung leisten, allerdings auf "inoffizielle und nicht bestätigte Weise", was in Wirklichkeit ein offenes Geheimnis ist.

Er fügte hinzu: "Aber nichts darf ausgeschlossen werden, (denn) wir werden alles tun, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann." Was die mögliche Beteiligung französischer Truppen an potenziellen Operationen angeht, stellte der Staatschef klar: "Ich habe absolut nicht gesagt, dass Frankreich dies nicht befürwortet." Dies ist eine geschraubte Formulierung, die die Tür öffnet.

Bisher handelt es sich nur um Worte. Aber in diesem Zusammenhang wiegen sie schwer und stellen einen Wendepunkt dar. Viele Analysten stellten fest, dass ein "Tabu gebrochen" wurde. Denn bislang hatten die westlichen Politiker immer darauf geachtet, die Haltung der "Nicht-Beteiligung" der NATO gegenüber Russland zu pflegen, auch wenn dies angesichts der Waffen- und Munitionslieferungen an Kiew im Wert von zig Milliarden Euro eher ein Mythos war.

Emmanuel Macron räumte jedoch ein, dass es keinen Konsens über seinen Vorschlag gab. Um es gelinde auszudrücken ... Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reagierte umgehend und schloss den Einsatz von Bodentruppen aus. Der scheidende niederländische Premierminister Mark Rutte, der als nächster NATO-Generalsekretär gehandelt wird, tat das Gleiche.

Danach folgte eine Ablehnung nach der anderen, von Spanien, Italien, Schweden, dem Vereinigten Königreich und sogar von Polen. Der slowakische Regierungschef Robert Fico, dem seine Gegner vorwerfen, genauso "prorussisch" zu sein wie sein ungarischer Kollege, erklärte, er sei nach Paris gereist, um die, wie er es nannte, "schlimmstmögliche Entscheidung" abzulehnen.

Nur das kleine Litauen zeigte sich interessiert. Was Estland, einen anderen baltischen Staat, betrifft, so erwähnte der ehemalige Kommandeur der Streitkräfte, der jetzt Europaabgeordneter ist, "die Möglichkeit, dass Macron dies gesagt hat, weil er weiß, dass Scholz dagegen ist".

Besonders bemerkenswert ist, dass der derzeitige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sich hütete, den Vorschlag Macrons zu billigen. Der US-Präsident seinerseits wies den Vorschlag offen zurück. Auch auf der innenpolitischen Bühne, wo alle Oppositionen dieses Abenteurertum verurteilten, fand der Präsident keine Unterstützung.

Schließlich haben viele Analysten auf ein Paradoxon hingewiesen. Im Jahr 2022 hatte Emmanuel Macron bekräftigt, dass es von Interesse sei, einen Dialog mit seinem russischen Amtskollegen aufrechtzuerhalten, und damit die Spottlust und Kritik der Ultraatlantiker auf sich gezogen. Letztere beschuldigten ihn auch, bei den Waffenlieferungen an Kiew zu zögern.

Der Präsident des Élysée-Palastes übte also eine Art Selbstkritik und stellte fest: "Viele von denen, die heute 'nie, nie' sagen, waren dieselben, die vor zwei Jahren 'nie Panzer, nie Flugzeuge, nie Langstreckenraketen' sagten." Von nun an will er zeigen, dass er sich geändert hat, und beschreibt seine Geisteshaltung folgendermaßen: "Alles ist möglich, wenn es für die Erreichung unseres Ziels nützlich ist." Mit einem zentralen Zweck: "Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann."

Man kann sich die Reaktionen des Westens vorstellen, wenn ein russischer Führer gesagt hätte: "Alles ist möglich, wenn es unserem Ziel dient." Der Medienchor hätte sofort eine kaum verhüllte nukleare Erpressung angeprangert. Selbst wenn dies nicht die Absicht des französischen Präsidenten gewesen sein sollte, so weiß doch jeder, dass Frankreich über Atomwaffen verfügt, was es erforderlich machen sollte, zweimal darüber nachzudenken, bevor man mit einem direkten Einsatz der Streitkräfte droht.

Wie lässt sich also eine solche Radikalisierung von Emmanuel Macron erklären?

Man muss die innenpolitischen Gründe, die einige angeführt haben, beiseiteschieben. Sicherlich ist der Präsident in Schwierigkeiten und befürchtet, dass seine Freunde bei den Europawahlen am 9. Juni sehr weit hinter die Liste des Rassemblement National (RN) zurückfallen werden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Élysée-Palast darauf hofft, viele Stimmen zu ergattern, indem er angesichts der Kandidaten von Marine Le Pen, die beschuldigt werden, Moskau zu unterstützen, auf Krieg drängt. Im Gegenteil ...

Diplomatie ein Gebot der Vernunft

Eine erste wahrscheinliche Erklärung ist diese Einsicht: Die Hoffnungen des Westens, Russland eine demütigende Niederlage beizubringen, sind heute völlig vergeblich. Während dieser Ausgang noch vor wenigen Monaten von den Mainstream-Medien als sicher dargestellt wurde, mussten diese eine spektakuläre Kehrtwende vollziehen: Trotz der massiven Unterstützung für Kiew und der Sanktionen gegen Moskau (die schwersten, die je gegen ein Land verhängt wurden), können die Euro-Atlantiker nun nur noch ihr dreifaches Scheitern feststellen. Die russische Armee ist wieder in die Offensive gegangen; die russische Wirtschaft ist keineswegs "in die Knie gegangen", wie der französische Wirtschaftsminister vorhergesagt hatte; und der "globale Süden" hat sich keineswegs unter das diplomatische Banner des Westens gestellt und prangert stattdessen die "Doppelstandards" der von Uncle Sam dominierten Allianz an.

Unter diesen Umständen wäre es ein Gebot der Vernunft, der Diplomatie den Vorrang zu geben. Die macronsche Antwort ist im Gegensatz dazu eine Flucht nach vorn.

Eine zweite, ergänzende Erklärung ist wahrscheinlich in den internen Machtverhältnissen der EU zu suchen. Bei vielen Themen sind die Differenzen zwischen Paris und Berlin kein Geheimnis und werden sogar noch größer (Kernenergie, Anwendung des Stabilitätspakts, gemeinsame Anleihen, Handel mit China und generell freier Welthandel, Integration und Priorität des europäischen militärisch-industriellen Komplexes ...).

Es ist nicht auszuschließen, dass der französische Staatschef versucht, eine globale Machtposition unter den 27 gegenüber seinem deutschen Amtskollegen zu etablieren, insbesondere mithilfe einiger osteuropäischer Länder, und sich deshalb auf einen gewissen Überbietungswettbewerb einlässt. In diesem Fall würde sich die EU – und das Prinzip der europäischen Integration an sich – durch die Rivalitäten, die sie hervorruft, als ein weiterer schädlicher Faktor bestätigen.

Wie dem auch sei, eines scheint sicher: Unabhängig von der Haltung der einen oder anderen Seite wissen die großen Führer des atlantischen Bündnisses, dass die Glaubwürdigkeit der NATO auf dem Spiel steht. Dass einige "nichts ausschließen", um sie zu verteidigen, ist nicht sehr beruhigend.

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